80 Prozent der SARS-CoV-2-Proteine im Labor hergestellt – Anleitungen für weltweite Forschung verfügbar – Fäden des Forschungsnetzes aus 17 Ländern laufen an Goethe-Universität Frankfurt zusammen
Für die Entwicklung von Medikamenten oder Impfstoffen gegen
COVID-19 benötigt die Forschung Virus-Proteine in hoher Reinheit. Für die
meisten der SARS-CoV-2-Proteine haben jetzt Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt mit insgesamt 36 Partnerlabors
Anleitungen erarbeitet, die die hochreine Herstellung jeweils mehrerer
Milligramm dieser Proteine ermöglichen und die Bestimmung der dreidimensionalen
Proteinstrukturen erlauben. Die Laboranleitungen und die dafür erforderlichen
gentechnischen Werkzeuge stehen Forscherinnen und Forschern der ganzen Welt
frei zur Verfügung.
FRANKFURT. Wenn
das SARS-CoV-2-Virus mutiert, bedeutet das zunächst einmal nur eine Änderung im
Virenbauplan. Die Mutation führt dazu, dass zum Beispiel an einer Stelle in
einem Virus-Protein eine Aminosäure ausgetauscht wird. Um schnell abschätzen zu
können, welche Auswirkung diese Änderung hat, ist ein dreidimensionales Bild
des Virus-Proteins extrem hilfreich. Denn daran lässt sich erkennen, ob die
ausgetauschte Aminosäure wichtig für die Funktion des Proteins ist – oder für
die Interaktion mit einem potenziellen Medikament oder Antikörper.
Forscherinnen und Forscher der Goethe-Universität Frankfurt und
der TU Darmstadt haben bereits zu Beginn der Pandemie damit begonnen, sich
international zu vernetzen. Ihr Ziel: die dreidimensionalen Strukturen von
SARS-CoV-2-Molekülen mithilfe der Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) zu
beschreiben. Bei der NMR-Spektroskopie werden Moleküle zunächst mit speziellen
Atomsorten (Isotopen) markiert und dann einem starken Magnetfeld ausgesetzt.
Mittels NMR kann dann auch mit hohem Durchsatz im Detail geschaut werden, wie
potenzielle Wirkstoffe an virale Proteine binden. Dies geschieht unter anderem
am Biomolekularen Magnet-Resonanz-Zentrum (BMRZ) der Goethe-Universität.
Grundvoraussetzung ist jedoch, große Mengen der Proteine in hoher Reinheit und
Stabilität sowie korrekter Faltung für die vielen Tests zu produzieren.
Das Netzwerk, das von Prof. Harald Schwalbe vom Institut für
Organische Chemie und Chemische Biologie der Goethe-Universität koordiniert
wird, umspannt den ganzen Globus. Die Erstellung von Laboranleitungen für die
Proteine ist bereits der zweite Meilenstein. Das Virus besteht neben den
Proteinen aus RNA, und das Konsortium konnte bereits im vergangenen Jahr alle wichtigenRNA-Fragmente von SARS-CoV-2 zugänglich machen. Mit
der Expertise von 129 Kolleg:innen ist es nun gelungen, 23 der insgesamt knapp
30 Proteine von SARS‑CoV‑2 komplett oder in wichtige Teilen „im Reagenzglas“
herzustellen und aufzureinigen, und zwar in großen Mengen.
Dazu wurden die genetischen Informationen für diese Proteine in
kleine, ringförmige DNA-Stücke (Plasmide) eingebaut. Diese Plasmide konnten
dann zur Proteinproduktion in Bakterien eingeschleust werden. Einige spezielle
Proteine wurden daneben in zellfreien Systemen hergestellt. Ob diese Proteine
nach ihrer Isolierung und Anreicherung noch immer korrekt gefaltet waren, wurde
unter anderem durch NMR-Spektroskopie bestätigt.
Dr. Martin Hengesbach vom Institut für Organische Chemie und
Chemische Biologie der Goethe-Universität erläutert: „Wir haben die
funktionellen Einheiten der SARS-CoV-2-Proteine so isoliert, dass ihre
Struktur, ihre Funktion und ihre Interaktionen nun von uns selbst und anderen
charakterisiert werden können. Damit liefern wir in unserem großen Konsortium
die Arbeitsvorschriften, mit deren Hilfe Labore weltweit schnell und
reproduzierbar an SARS‑CoV‑2-Proteinen und auch den kommenden Mutanten arbeiten
können. Diese Arbeit von Anfang an zu verteilen, war eines unserer wichtigsten
Anliegen. Über die Protokolle hinaus stellen wir auch die Plasmide frei zur
Verfügung.“
Dr. Andreas Schlundt vom Institut für Molekulare Biowissenschaften
der Goethe-Universität meint: „Mit unseren Arbeiten beschleunigen wir die
weltweite Suche nach Wirkstoffen: Entsprechend ausgerüstete wissenschaftliche
Labore müssen nicht mehrere Monate lang Systeme zur Herstellung und
Untersuchung der SARS-CoV-2-Proteine etablieren und optimieren, sondern können
nun dank unserer Laborprotokolle innerhalb von zwei Wochen mit ihren
Forschungsarbeiten beginnen. Angesichts der zahlreichen Mutationen von
SARS-CoV-2 ist es besonders wichtig, verlässliche, schnelle und gut etablierte
Methoden zur Untersuchung des Virus im Labor zu besitzen. So wird
beispielsweise auch die Erforschung der so genannten Hilfsproteine von
SARS-CoV-2 erleichtert, über die bisher wenig bekannt ist, die aber im
Mutationsgeschehen auch eine Rolle spielen.“
Unterdessen gehen im NMR-Konsortium die Arbeiten weiter: Derzeit
untersuchen die Forscher:innen mit Hochdruck, ob die viralen Proteine an
potenzielle Wirkstoffe binden.
Die Forschungsarbeiten wurden und werden mit Mitteln der Deutschen
Forschungsgemeinschaft sowie des Goethe-Corona-Fonds gefördert. Der hohe
logistische Aufwand und permanente Austausch an Forschungsergebnissen wurde
durch die Firma Signals unterstützt, einem Spin-Off der Goethe-Universität.
Publikation: Nadide
Altincekic, Sophie Marianne Korn, Nusrat Shahin Qureshi, Marie Dujardin, Martí Ninot-Pedrosa et. al. Large-scale recombinant production of the SARS-CoV-2
proteome for high-throughput and structural biology applications. Frontiers in Molecular
Biosciences. https://doi.org/10.3389/fmolb.2021.653148
Ergänzende Information: Faltung von SARS-CoV2-Genom zeigt Angriffspunkte für Medikamente
– auch Vorbereitung auf „SARS-CoV3“ https://tinygu.de/sEhyD
Bild zum Download: www.uni-frankfurt.de/100668377
Bildtext: Dr. Martin Hengesbach (links) und Dr. Andreas Schlundt am
Kernspinresonanz-Spektrometer der Goethe-Universität Frankfurt. Foto: Uwe
Dettmar für Goethe-Universität
Das COVID-19-NMR-Konsortium:
https://covid19-nmr.de/
Wissenschaftliche Ansprechpartner an der Goethe-Universität
Frankfurt:
Dr.
Andreas Schlundt
Emmy Noether Junior Group Leader
Institute for Molecular Biosciences
Goethe-Universität Frankfurt
Tel.: +49 69 798-29699
schlundt@bio.uni-frankfurt.de
Dr. Martin Hengesbach
Junior Group Leader
Goethe-Universität Frankfurt
Institute for Organic Chemistry and Chemical Biology
SFB 902 “Molecular Principles of RNA-based Regulation“
Tel.: +49 69 798-29130
hengesbach@nmr.uni-frankfurt.de
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Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Abteilung PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de