Neuer Rekord bei Kollisionen von Blei-Ionen am CERN: Höchste Energie und höchste Kollisionsrate – Physiker:innen und Computerwissenschaftler:innen der Goethe-Universität sind an Datennahme und –auswertung beteiligt
Nach fünf Jahren Pause wurden mit dem großen Beschleuniger LHC am internationalen Forschungsinstitut CERN wieder Blei-Ionen zur Kollision gebracht. Dabei löst sich die kollidierende Materie für extrem kurze Zeit in ihre Bestandteile auf und erreicht so einen Zustand wie das Universum Millionstel Sekunden nach dem Urknall. Die Teilchenspuren der Kollisionen zeichnet der haushohe ALICE-Detektor auf, an dessen Verbesserung Forschende der Goethe-Universität mitgearbeitet haben. Im ersten Monat der neuen Datennahmeperiode konnte ein neuer Rekord aufgestellt werden: Es wurden 20-mal mehr Kollisionsereignisse aufgezeichnet als in den Datennahmeperioden der vergangenen Jahre zusammen.
FRANKFURT. Am 26.
September 2023 erklärte das Beschleunigerteam des Europäischen
Kernforschungszentrum CERN in Genf stabile Blei-Strahl Konditionen und läutete
damit die erste Datennahme-Kampagne von Blei-Ionen-Kollisionen seit 5 Jahren
ein. Bis zum späten Abend des 29. Oktober wurden nun Kollisionen von Blei-Ionen
bei der bisher weltweit höchsten Kollisionsenergie von 5.36 Terraelektronvolt
pro zusammenstoßender Kernteilchen (Nukleon-Nukleon-Kollision) erzeugt. Nicht nur
die Kollisionsenergie, sondern auch die Kollisionsraten wurden im Vergleich zu
den Datennahmeperioden der früheren Jahre deutlich erhöht. So konnte der ALICE
Detektor, spezialisiert auf die Aufzeichnung der Kollisionen von
Bleiatomkernen, 20-mal mehr Ereignisse aufzeichnen als in den vier einmonatigen
Datennahmeperioden seit 2010 zusammen.
Dies ist wichtig, da bei den Kollisionen in kürzester Zeit
ungeheuer viele Teilchen neu entstehen und wieder zerfallen. Die Aufzeichnung
der Spuren dieser Teilchen lässt Rückschlüsse darauf zu, was im Moment des
Zusammenpralls und kurz danach genau passiert: Die Teilchen lösen sich in ihre
elementaren Bestandteile – Quarks und Gluonen – auf und bilden eine Art
„Materiesuppe“, ein sogenanntes Quark-Gluon-Plasma. Unmittelbar danach bilden
sich wieder neue, sehr instabile Teilchen, die sich in komplexen Zerfallsketten
schließlich in stabile Teilchen umwandeln. Auf diese Weise untersuchen die
Forschenden des ALICE-Experiments die Eigenschaften von Materie, wie sie kurz
nach dem Urknall vorgelegen hat.
An den Experimenten sind Forschungsgruppen der Goethe-Universität
Frankfurt beteiligt. Der neue Rekord wurde möglich, weil der weltweit stärkste
Teilchenbeschleuniger, der Large Hadron Collider (LHC), in einer vierjährigen
Umbauphase noch einmal verbessert werden konnte. Auch der ALICE-Detektor wurde
dieser Umbaupause von 2018 bis 2022 verbessert, um die Spuren der höheren
Kollisionsraten des LHC aufzeichnen zu können.
Hierzu war es notwendig, die Auslesedetektoren des zentralen
Detektors des Experiments, der sogenannten Spurdriftkammer (engl. Time
Projection Chamber, TPC) komplett auszutauschen. Die Projektleitung dieses
insgesamt 10-jährigen Unterfangens liegt bei Professor Harald Appelshäuser vom
Institut für Kernphysik der Goethe-Universität.
Eine große Herausforderung sind die enormen Datenmengen, die
während der Messungen anfallen und allein für die TPC im Bereich von Terabyte
pro Sekunde liegen. Dieser Datenstrom muss in Echtzeit mit effektiven
Mustererkennungsmethoden prozessiert werden, um die gespeicherte Menge der
Daten ausreichend reduzieren zu können. Eigens hierzu wurde der Rechencluster
EPN (engl. Event Processing Nodes) für das Experiment aufgebaut. Der
EPN-Cluster basiert sowohl auf konventionellen Rechenkernen (CPUs) als auch auf
speziellen Grafikprozessoren. Die Leitung des Projekts liegt bei Volker
Lindenstruth, Professor für die Architektur von Hochleistungsrechnern an der
Goethe-Universität und Fellow am Frankfurt Institute for Advanced Studies
(FIAS).
Die Messungen bei höheren Kollisionsraten sind ein großer Erfolg
für das Schwerionenprogramm am CERN. Prof Harald Appelshäuser sagt: “Endlich
geht es los! Darauf haben wir 10 Jahre lang hingearbeitet. Wir freuen uns auf
die Auswertung der jetzt gewonnenen Daten. Danken möchte ich vor allem dem
Bundesministerium für Bildung und Forschung für die langfristige Finanzierung,
denn Forschungsprojekte in dieser Dimension können nur durch einen so
verlässlichen Partner erfolgreich sein."
Hintergrundinformationen:
Meldung: ALICE-Experiment am CERN startet Testbetrieb mit
Blei-Ionen (2022)
https://aktuelles.uni-frankfurt.de/forschung/urknall-forschung-alice-experiment-am-cern-startet-testbetrieb-mit-blei-ionen/?highlight=ALICE
Über das ALICE-Experiment:
https://www.weltmaschine.de/cern_und_lhc/experimente_am_lhc/alice/
Bilder zum Download:
https://www.uni-frankfurt.de/129304631
Bildtext:
Für das Upgrade wurde der ALICE-Detektor geöffnet. Foto: Sebastian Scheid,
Goethe-Universität Frankfurt
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Harald Appelshäuser
Institut
für Kernphysik
Goethe-Universität
Frankfurt
Tel:
+49 (0) 69 798-47034 oder 47023
appels@ikf.uni-frankfurt.de
@ALICExperiment
Redaktion: Dr. Markus Bernards, Referent für Wissenschaftskommunikation, Büro für PR & Kommunikation, Telefon 069 798-12498, Fax 069 798-763-12531, bernards@em.uni-frankfurt.de